Autopsien des Alltäglichen
Samstag, 14. Oktober 2006
Ich wollte es nie
Nein, solange ich mich erinnern kann, wollte ich es nicht.

Anfangs war es ein Problem, die Sprache, die Verständigung. Kinder lernen leicht neue Sprachen, wenn sie noch klein sind. Das Gehirn ist wie ein trockener Schwamm, aufnahmefähig. Eine leere Festplatte, die Informationen sammelt und speichert, ohne sich um Ressourcen kümmern zu müssen. Doch es sprach niemand in einer zweiten Sprache mit mir. Es war nicht notwendig.

Später dann, mit etwa 11 Jahren, der erste Urlaub im Ausland. Italien, Rimini. Ein unangenehmes Gefühl, so viele Menschen, die sich, mir völlig unverständlich, miteinander unterhalten konnten. Mich nicht verstanden. Mir das Gefühl gaben, ausgestoßen zu sein. Anders. Ausländer. Die zwar den Versuch machten, sich mit mir zu unterhalten, aber auf Unverständnis stießen. Und mich so immer tiefer in mein Schneckenhaus drängten.

Später dann die Schule, der Fremdsprachenunterricht. Der mich kaum interessierte. Die Vokabeln, Grammatik, die ich nie verstand, Prüfungen. Grausames Sprachlabor, Trockentraining ohne Anwendungsmöglichkeit. Und ohne Anwendungswillen. Abwahlmöglichkeit genutzt.

Dann, nach dem Studium, der dritte Job, der die Sprache forderte. Der ungeliebte und unverstandene Grammatikübungen hervorzauberte. Um verstanden zu werden, um erklären zu können. Ein Herantasten an dieses andere, so fremde Leben.

Der Durchbruch dann im vierten Job, ein Jahr England, ein Jahr fremde Menschen, die zu Freunden wurden. Das Eintauchen in eine Sprache, die so viele Nuancen bot, Redewendungen, Ausdrücke, die nie im Unterricht vermittelt wurden. Das Anlegen eines Kostüms mit Annehmen der Sprache, das Schauspielern und Agieren auf einer Riesenbühne. Die Interaktion mit Menschen, der Zugang zu Menschen. Das Verstehen.

Jetzt ist es Teil meines Lebens. Fremde Länder, fremde Menschen. Es hat lange gedauert.

Meine Bekehrung.

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